Die Argumentation kann ich nicht völlig entkräften, aber zum Abschluss nochmal die Punkte, die das IMHO (stark!) abschwächen:
- Die Studie ist von 2002. Es hat sich (gerade!) in den letzten 17 Jahren viel getan. Die, die zum Zeitpunkt dieser Studie im Kindergarten waren, würden jetzt ihr Studium anfangen
- Was dort beschrieben wird, ist (speziell wenn man die PDF nicht findet und durchackert) schwer zu messen oder quantifizieren, und ist dementsprechend schwach formuliert („es scheint“, „es wird erwartet“, „es wird angenommen“). Auf der dort beschriebenen Ebene könnte man das als eine Form des Rosenthal-Effekt – Wikipedia ansehen (was ein Argument wäre, die „Vorurteile“ abzubauen, aber … am Ende gibt’s für sowas Schulnoten)
- Die Betrachtung ist sehr einseitig. Wenn du von „schlechteren Voraussetzungen“ redest, dann betrifft das beide Seiten. So haben Männer eben „schlechtere Voraussetzungen“, Psychotherapeuten (oder „klassisch“ : ) Kindergärtner oder Baletttänzer zu werden.
Das das vereinfacht war, hatte ich erwähnt. Wenn es dort aber weniger „systemische“ Unterschiede gibt als überall sonst, und gleichzeitig die Unterschiede zwischen Männern und Frauen größer werden, stellt sich die Frage, woran das überhaupt noch liegen kann, außer eben an den „biologischen“ Unterschieden. Zumindest ist es eine valide Hypothese, nicht abwegig, und schwer zu widerlegen - und ja, etwas unbequem für diejenigen, die aus ideologischen Gründen alle Unterschiede mit der brutalen Unterdrückung durch das Partiarchat erklären wollten. Vorher war alles so einfach. Jetzt belegen die Studien, dass es nicht so einfach ist. Shit.
Das klingt arg gezwungen, und … ja, widersprüchlich. Zumindest wenn sich das darauf bezieht:
(Zum ersten Teil kurz: Fachkräfte fallen ja nicht vom Himmel. Es gibt auch zu wenige Krankenpfleger, und zu wenige Klemptner, von daher sehe ich darin erstmal kein so starkes Argument).
Um den Widerspruch, der da drin steckt, etwas plakativ deutlich zu machen (vielleicht magst du ihn ja dann etwas ausdifferenzieren) :
- Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen können zu einem heterogeneren Team führen und damit „bereichernd“ sein
- Es gibt keine relevanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was z.B. Softwareentwicklung betrifft
Was ist nun der Fall? Natürlich könnte man sagen, dass (NUR ein aus den Fingern genuckeltes Beispiel) Männer „gut“ darin sind, auf technischer Ebene Funktionalitäten zu modellieren, und Frauen „gut“ darin sind, auf empathischer Ebene User Experience zu verbessern, und sie zusammen eben das perfekte Team für eine Webanwendung sind. Aber wenn es (solche) Unterschiede gibt, dann kann man nur schwer verleugnen, dass die unterschiedlichen Stärken und Schwächen auch zu unterschiedlichen Berufsbildern führen, und in den Berufen, in denen die technische Ebene wichtiger ist, eher Männer arbeiten, und in den Berufen, in denen die empathische Ebene wichtiger ist, eher Frauen.
(Um die Gefahr zu verringern, dass jetzt jemand auf das spezifische Beispiel hüpft und da absolute Aussagen oder die Anmaßung von Allgemeingültigkeit reininterpretiert: *mit der Hand die Form einer Gaußkurve in die Luft malt* … )
Das mit ACAB schweift etwas ab.
Es ging ursprünglich um „Minderheiten die sich ausgeschlossen fühlen“. Mein Punkt zielte (zusammengefasst) darauf ab, dass sie sich vielleicht aufgrund einer Wortwahl ausgeschlossen fühlen, sie es aber faktisch nicht sind. Ob jemand irgendwo schreibt „The author wrote his paper“ oder „her paper“ oder „the paper“ oder „their paper“ hat keinen Einfluß darauf, ob in Zukunft mehr Frauen in der IT arbeiten.
Wenn eine verschwindend kleine Minderheit der kleinen Minderheit (!), die schon dort arbeitet, sich durch solche Formulierungen auf die Füße getreten fühlt (oder das behauptet), und dann einfach nur besonders laut schreit und vom Rest der Welt fordert, sie möge doch gefälligst von jetzt auf gleich ihre Sprache nach den Vorstellungen und (unpraktischen, weltfremden) Regeln irgendwelcher Querulanten ändern, dann darf man dem nicht bedingungslos nachgeben.
Natürlich kann man über alles reden, aber ich denke, über den Punkt dass „gendering“ (oder als mögliche verallgemeinerung: „political correctness“) zu weit getrieben werden kann, sind wir uns schon einig. Es geht, so gesehen, nur um die Auslotung der Grenze. Und durch ein „his“ (oder deutsch „sein“) in irgendeinem anonymen Text wird niemand beleidigt oder diskreditiert (und wenn das hundert mal als „microaggression“ bezeichnet wird - das ist es nicht).
Mein Beispiel mit der Rot-Grün-Blindheit zielte schon in diese Richtung, aber um den Punkt etwas … ja, deutlicher zu machen: In der Straßenverkehrsordnung stand früher „Fußgängerüberweg“. Und mit viel Tamtam und enormem logistischem, zeitlichem und finanziellem Aufwand wurde daraus nun „Überweg für zu Fuß gehende“.
Und wer beschwert sich als nächstes?
Rollstuhlfahrer. Die gehen nicht zu Fuß.
Gelegentlich beobachte ich mit diesem Gefühl, im falschen Film zu sein (d.h. einer irritierenden Mischung aus Frustration und Amüsement) diese Versuche, es „allen recht zu machen“. (Spoiler: Das geht nicht)
Das ist nicht meine Annahme, siehe auch…:
Ich verleugne auch nicht, dass es gesellschaftliche Einflüsse gibt. Aber viele der Bemühungen oder an den Tag gelegten Haltungen oder ergriffenen Maßnahmen, die ich beobachte, deuten darauf hin, dass Leute eben eine andere Annahme machen. Nämlich die, dass es keine biologischen Unterschiede gibt, und gegen alle (dann eben nur gesellschaftlichen) Unterschiede etwas unternommen werden muss.
Genauer: Es gibt Leute, die anzunehmen scheinen, dass auf jeder Ebene der Analyse die Verteilung von Personengruppen der der nächsthöheren Analyseebene entsprechen muss (oder sollte). Aber nur weil es in Deutschland 50% Männer und 50% Frauen gibt, heißt das nicht, dass in jedem Berufsfeld genau 50% Männer und 50% Frauen arbeiten müssen (weder in der Müllbeseitigung noch bei der Kinderbetreuung, und auch nicht in Vorständen).
Freiheit und Gleichberechtigung und individuelle Entfaltung äußern sich manchmal gerade darin, dass das nicht so ist. Und wenn sich nun in einem Bereich (wie in der IT) ein Unterschied herauskristallisiert (der in (ohnehin utopischer und unrealistischer) „absoluter Freiheit“, ohne einengende gesellschaftliche Einflüsse entsteht, und damit „nur“ mit der Biologie zu begründen ist) : Was dann?
EDIT, BTW: Ich schätze diese Unterhaltung auch. Wenn mehr Leute auf dieser Ebene reden und argumentieren und ihre Ansichten verdeutlichen würden, und weniger mit polarisierenden Tweets und gefeierter Victimhood, wären wir schon ein Stück weiter.