Ein schwieriges, (ggf. heikles) und sehr vielschichtiges Thema. So vielschichtig, dass es ohnehin hier nicht „geklärt“ werden kann, und deswegen jeder ohnehin nur seinen subjektiv-unfundierten Gedankendurchfall in die Welt plappern kann.
Also los
Darüber Nachdenken wird wohl jeder mal. Ich habe mal einen Leitz-Aktenordner (Made in Germany) und eine Kaffeemaschine (Made in China oder sonstwo) am gleichen Tag im gleichen Laden gekauft. Der Aktenordner hat 5€ gekostet, und die Kaffeemaschine 20€. Ja, ein Aktenordner. Ein Stück Pappe und Draht. Schon die Verpackung der Kaffeemaschine war aufwändiger, als dieser Ordner. Irgendwas stimmt da nicht.
Echte Gewissensbisse beim Einkauf von „billigen“ Produkten habe ich aber nicht. Es gibt genug Heuchelei und gestelztes Gutmenschentum von langhaarigen Aktivisten, die im 16. Semester ihres Soziologiestudiums eben genug Zeit haben, anderen ihre Lebensweise zum Vorwurf zu machen. Jeder, der nicht nackt in einer Höhle lebt, und sich von Fallobst ernährt, kann sich irgendwas vorwerfen lassen. („Ich esse nichts, was einen Schatten wirft“, „Hast du etwa keinen Taschen-Mulch?“). Die Ambivalenz vieler Ausprängungen einer vermeintlich vorbildlichen Lebensweise ist offensichtlich. Genauso wie die Tatsache, dass jeder sich aus dem Pool der Argumente genau die rauspickt, die seine Lebensweise und sein Handlen rechtfertigen, und kaum einer die Eier hat, zuzugeben, dass er eben keinen Plan hat, wie die Welt funktioniert.
Auch ich habe diesen Plan nicht (nur der Vollständigkeit halber :-)). Natürlich entbehrt es sich nicht einer gewissen Ironie, wenn auf RTL in „Explosiv“ über das Schicksal der 11jährigen Shalama berichtet wird, die 10 Stunden am Tag in einer chemikalienverseuchten, einsturzgefährdeten, indischen Textilfabrik ohne Fenster, Licht und Feuerlöscher glitzernde Steinchen auf T-Shirts näht, und dieser Bericht unterbrochen wird durch eine Werbepause, wo einem dieses rote Drecks-T-Shirt in „Karl Klammer“-Manier erzählt, dass es „Bei Kik jetzt Kinderjeans für zwei neunundneunzig das Stück“ gibt. Daraus die Konsequenz zu ziehen, seine T-Shirts nicht mehr im Zehnerpack für 5 Euro bei Kik zu kaufen, hat im Zweifelsfall aber nur zur Folge, dass die kleine Shalama ihr Geld eben nicht mehr mit Nähen, sondern mit Blowjobs verdienen muss. Warum auch nicht, ist ja auch viel lukrativer.
Inwieweit eine Änderung der Lebensweise eines einzelnen Einfluß auf (Pathos: ) „die Mißstände in dieser Welt“ hat, ist schwer zu sagen. Die Welt ist ungerecht, und die meisten Menschen sind schlecht (und wenn es etwas gibt, worauf man sich verlassen kann, dann das). Allgemein wurde der Unterschied zwischen Arm und Reich ja auch schonmal so beschrieben: ~„Arme Leute verkaufen Drogen, um sich Markenklamotten kaufen zu können. Reiche Leute verkaufen Markenklamotten, um sich Drogen kaufen zu können“. In bezug auf „Gerechtigkeit“ (die jeder genau so lange will, wie er sich einen Vorteil davon verspricht) gehen die typischen Argumente dann schnell in ähnliche Richtungen. Oft wird dann in Frage gestellt, ob „das, was man mehr ausgibt, bei denen ankommt, die es brauchen“. Sicher, Shalama verdient 30€ im Monat und die Jeans kosten hier 3€. Wenn die Jeans hier 6€ kosten würden, dann würde das für jemanden hier etwa 0.5% seines Monatseinkommen, aber das Monatseinkommen von Shalama könnte sich verdoppeln - so zumindest die naiv-träumerische Wunschvorstellung, aber die Welt ist ungerecht, und die meisten Menschen sind schlecht, und deswegen muss man wohl davon ausgehen, dass so eine Preisherhöhung kaum etwas ändern würde, außer den Hubraum des BMWs, den der Besitzer der indischen Textilfabrik fährt. Selbst wenn eine „sinnvolle“ und „gerechte“ Verwendung der Aufpreise durch irgendwelche Fair-Arsche… äh… Fair-Trade-Siegel „„sichergestellt““ ist (d.h. man so naiv ist, anzunehmen, dass man solche Siegel nicht auch durch Mauschelei erhalten kann), wird oft mir der „Macht der Masse“ argumentiert: „Wenn jeder bereit ist, für ein Pfund Kaffee 1€ mehr zu bezahlen, kann der Anbau nachhaltig sein, und es wird kein Regenwald mehr abgeholzt“. Aber dort eine direkte Kausalität zu unterstellen, ist schon sehr gewagt (ich streite sie aber auch nicht ab. Nochmal: Ich habe keinen Plan, wie die Welt funktioniert).