Das stimmt. Aber es hat - im Vergleich zu verbaler Diskussion - viele Vorteile. Ganz vordergründig schon den, dass nicht alle durcheinander schreien. Dann den, dass man sich mit seinen Formulierungen viel Zeit lassen kann, damit sie präzise und unmißverständlich sind. Irrtümer oder Mißverständnisse, angefangen bei (falschen) Behauptungen wie „Du hast doch eben dies-und-das gesagt“ treten nicht so leicht auf (oder … sollten nicht so leicht auftreten). Man kann ggf. auch zu einem bestimmten Themenpunkt recherchieren, oder mal eine Nacht über etwas schlafen.
Dass das alles etwas idealistisch klingt, und in der Praxis nicht mehr so zu sein scheint, führe ich persönlich auch auf Twitter zurück - wo das Ziel eben nicht ein Diskurs ist (und aufgrund seiner Struktur auch gar nicht sein kann), sondern viel zu oft darin zu bestehen scheint, mit 140 Zeichen maximale Aufmerksamkeit zu bekommen. Natürlich „positive“ Aufmerksamkeit, mit likes und retweets, und diesem wohligen Gefühl der Bestätigung durch das virtuelle Schulterklopfen von einer peer-group.
Ich könnte jetzt nochmal wiederholen, dass „Links-vs-Rechts“ eine viel zu eindimensionale Sicht ist. Und bei der Neigung dazu, da eine Wertung vorzunehmen, und der Neigung dazu, Dinge ins Extreme zu ziehen (also „links“ und „linksextrem“ und „rechts“ und „rechtsextrem“ nach Belieben gleichzusetzen, oder in Verbindung zu bringen, um irgendwelche unsinnigen Grabenkämpfe anzustacheln) bin ich mir nicht sicher, was von beidem „Ursache“ und was „Wirkung“ ist, aber … konstruktiv ist es natürlich in keinem Fall.
Wenn man konkreter über Twitter als politische Blase reden wollte, könnte man über Tags reden, und fragen, wo z.B. in dem Spektrum von #IchBinLinksextrem
bis #KillAllMen
denn die Grenze liegt, ab der man sagen kann, dass dieses Tag etwas repräsentiert, womit man vielleicht nicht unbedingt einverstanden sein muss. Aber ich bin mir sicher, dass diejenigen, die schon Übung in diesen flachen Flamewars haben, eine tolle Begründung in 140 Zeichen pressen könnten, die klipp und klar und unanfechtbar belegt, dass ein Hashtag mit der Aufforderung, alle Männer umzubringen, nicht so schlimm ist, wie die Forderung irgendeines einzelnen Spinners, irgendeine abstrakte „Judensau“ umzubringen.
Und jetzt könnt ihr mich gerne wieder aufklären, was von dem, was ich gerade geschrieben habe, aus dem Parteiprogramm der AfD zitiert, oder Trump unterstützt, oder den Terrorismus fördert, oder sonstwie belegt, dass ich in irgendeiner Hinsicht „ein schlechter Mensch“ bin. Lasst’s krachen, Leute. Macht mich fertig. Wenn ihr das nicht macht, müßte ich ja irgendwann auf Twitter gehen, und mir da ein paar Feinde machen, indem ich mein „Hate Speech“ ablasse (wie etwa die Aussage, dass Männer nicht schwanger werden können)
Sicher, das ganze hat dann nichts mit Objektivität oder Neutralität zu tun (und im Zweifelsfall könnte man sich ja darauf berufen, dass es für die genannen Tags auch das jeweils „entgegengesetzte“ Tag gibt), aber … ich glaube, darum geht es gerade gar nicht.